Kultureller und zeitlicher Bezugsrahmen der Shiatsu-Terminologie

Mt. Fuji mit Pagoge

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Die dem Shiatsu zugrundeliegenden Begriffe und Konzepte entstammen einem uns heute fernen gesellschaftlichen, kulturellen und zeitlichen Kontext, weshalb die direkte Übersetzung der Begriffe leicht zu Missverständnissen führt. Alle Beobachtungen wurden auf Basis des damals in Fernost herrschenden Weltverständnisses und seiner Begrifflichkeiten, die einem gänzlich anderen Sprach- und Denksystem entspringen, erfasst und konzeptualisiert.

Sprache bedeutet immer Konzepte: eine bestimmte Art die Welt wahrzunehmen, bestimmte begriffliche Einheiten zu bilden und bestimmte Zusammenhänge zu schaffen. Der kulturelle und gesellschaftliche Hintergrund bildet die Basis, wie wir die Welt sehen bzw. in Worten/Konzepten erfassen und ausdrücken. Die moderne Wissenschaft legt nahe, wie Forscher/innen rund um R. E. Nisbett1Vgl. Masuda, T. & Nisbett, R. E.: Attending Holistically Versus Analytically. In: Journal of Personality and Social Psychol. 81, 2001, S. 922; Nisbett, R. E.: The Geography of Thought. Nicholas Brealy Publishing Ltd. London, 2003; Nisbett, R. E., Peng. K, Choi, I. & Norenzayan A.: Culture and Systems of Thought. In: Psychological Review 108, 2001, S. 291; Kühnen, U.: Denken auf asiatisch. In: Gehirn und Geist 3, 2003, S. 10. Siehe auch Westliches und östliches Denken: kulturell geprägte Unterschiede. an Untersuchungen an traditionell lebenden asiatischen und westlichen Kulturangehörigen zeigen konnten, dass selbst grundlegende Denkprozesse tiefgehend kulturell geprägt sind.

Dazu kommt, dass viele Begriffe sehr unterschiedliche, manchmal geradezu gegensätzliche Bedeutungen haben, die sich oft erst aus dem Kontext erschließen. In der Wissenschaft beschreibt man dieses Phänomen als konnotativen Bedeutungsraum. Ein Beispiel dafür ist der Begriff des Qi (Ki), der im Kontext des Shiatsu gewöhnlich und letztlich vereinfachend mit „Energie“ oder „Lebensenergie“ übersetzt wird. Im globalsten Verständnis aber ist Qi einfach alles: Alle Phänomene, ob sichtbar oder unsichtbar, lassen sich als Manifestationen des Qi betrachten. Zugleich aber bezeichnet man mit Qi auch das Wetter, die Atmosphäre zwischen Menschen oder auch ein Funktionsniveau von Körpersystemen. Vergleichen kann man diese Vielfalt der Bedeutungen durchaus auch mit dem westlichen Energiebegriff, der von einer Vielzahl verschiedener Energieformen (z.B. potenzielle, kinetische, elektrische, chemische, thermische Energie) bis hin zu relativistischen und quantenmechanischen Modellen reicht, die das gesamte Universum als Energie oder Schwingung betrachten lassen.

Generell ist die Trennung zwischen materiell und immateriell in der fernöstlichen Tradition deutlich weniger ausgeprägt als im Westen. Vereinfachend könnte man sagen, dass das fernöstliche Verständnis Geist und Körper nie auf eine Weise getrennt hat wie die westliche Philosophie in der Tradition von Descartes. Jedes Phänomen hat damit immer materielle und immaterielle Aspekte, und es gibt auch keine ausschließlich somatischen oder ausschließlich psychischen/geistigen Phänomene. Immer ist der Mensch in der Betrachtung der traditionellen fernöstlichen Gesundheitslehren ein untrennbar psychosomatisches Wesen, untrennbar verbunden auch mit seinem Umfeld, letztlich der gesamten Umwelt.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Vgl. Masuda, T. & Nisbett, R. E.: Attending Holistically Versus Analytically. In: Journal of Personality and Social Psychol. 81, 2001, S. 922; Nisbett, R. E.: The Geography of Thought. Nicholas Brealy Publishing Ltd. London, 2003; Nisbett, R. E., Peng. K, Choi, I. & Norenzayan A.: Culture and Systems of Thought. In: Psychological Review 108, 2001, S. 291; Kühnen, U.: Denken auf asiatisch. In: Gehirn und Geist 3, 2003, S. 10. Siehe auch Westliches und östliches Denken: kulturell geprägte Unterschiede.